Wie der Jazzchor Freiburg Fukushima erlebt hat
Ensemble tritt auf seiner Konzertreise in Japan in der leidgeprüften Stadt auf
Wie viel wiegen Eindrücke? Wären diese in Gramm oder Kilo messbar, so hätten die Sängerinnen und Sänger des Jazzchors Freiburg bei ihrer Rückreise am Check-In des Flughafens Osaka ordentlich Übergepäck zahlen müssen. Und jedes einzelne Gramm davon wäre eine Gebühr auch wert gewesen. So sieht es die Sängerin des Chores, Christina Hernold, die die Eindrücke der Gruppe im folgenden Bericht zusammengefasst hat.
Bereits sechs Mal war der Jazzchor Freiburg mit seinem Gründer und Dirigenten Bertrand Gröger in Japan zu Gast. Doch diese jüngste Tournee hat sich deutlich von allen anderen unterschieden. Gleich nach seiner Ankunft in Tokio reiste der Chor in die Krisenregion rund um die Stadt Fukushima, die durch das verheerende Erdbeben und den dadurch ausgelösten Tsunami weltweit traurige Berühmtheit erlangte. Für die Sängerinnen und Sänger des Jazzchor Freiburg hat Fukushima nun ein Gesicht bekommen. Zum Beispiel das des Rektors der Schule von Onagawa, der den Chor durch die Reste seiner Stadt führte, die beim Tsunami zu 80 Prozent zerstört worden ist. Oder das der Menschen von Namie, deren Stadt in der Sperrzone des zerstörten Atomreaktors von Fukushima liegt und die nun in Containern in einer Evakuiertensiedlung am Rand der Stadt Nihonmatsu leben. Und auch das des Rektors der Universität von Ishinomaki, dessen Universität als einziges großes Gebäude von Tsunami verschont geblieben ist, und deshalb in den ersten Wochen für mehr als 2000 Helfer und Obdachlose zur Heimat wurde.
"Still we love this ocean" (und dennoch lieben wir dieses Meer) – mit diesem Leitspruch bauen sich die Menschen der Tsunami-Region nun mit einer bemerkenswerten Kraft eine neue Heimat auf. Und ganz dicht unter der hoffnungsvollen Oberfläche liegt nach wie vor der Schmerz über den Verlust geliebter Menschen, den dort jede und jeder einzelne zu beklagen hat. Für die Tränen, die bei den Konzerten in Onagawa, Ishinomaki und Nihonmatsu bei Publikum und Chor geflossen sind, hat sich niemand geschämt.
Der Besuch in der Krisenregion wurde ermöglicht durch das Engagement von Taka Yuki Doi aus dem japanischen Kochi, der mit seinem Team auch weitere Konzerte in Kochi, Muroto und Freiburgs Partnerstadt Matsuyama organisiert hat. Mit bemerkenswerter Gastfreundschaft und Herzlichkeit wurden die Freiburger von diesem Team betreut und vom Publikum gefeiert. Ein weiterer Höhepunkt war ein Empfang mit dem Bürgermeister und dem Partnerstadtkomitee von Matsuyama. Hier war deutlich zu spüren, wie eng die Verbindung ist, die in den 25 Jahren Partnerschaft zwischen beiden Städten aufgebaut worden ist.
"Bitte erzählt in Deutschland von den Menschen in Fukushima, damit sie nicht vergessen werden!" So lauteten die Abschiedsworte von Taka Yuki Doi am Ende der Tournee. Ein hastig eingestecktes Stück Dachziegel von einem der zerstörten Häuser in Onagawa erinnert den Chor von nun an dieses Versprechen.
Text: Christina Hernold